Der deutsch-sierra-leonische Singer-Songwriter, Musikproduzent und Filmemacher Patrice spielt unplugged für M.Bassy und spricht über sein Leben zwischen verschiedenen Kulturen und seinen Optimismus, trotz der gegenwärtigen politischen Situation.
Dein Vater drehte unter anderem Filme über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa, darunter einen Dreiteiler fürs ZDF mit dem Titel »Afrikanische Wurzeln«. Was war die Botschaft dieser Filme?
Mit dem ZDF-Dreiteiler wollte er deutschen Zuschauern zeigen, wie reich Afrika kulturell ist. Ich erinnere mich noch gut an poetische Passagen, zum Beispiel über den Nil, darin. In seinen anderen Filmen ging es mehr darum, ein geschichtlich korrektes Bild von Afrika zu zeigen. Geschichte ist ja in Europa so geschrieben, als habe der Westen alles richtig gemacht. Dem ist aber nicht so. Auch heute noch wird in den Schulen ein Bild vermittelt, das Afrika nicht gerecht wird und unterschwellig dazu führt, dass wir ein fundamental falsches Bild von dem Kontinent haben.
Du sagst, je älter du wirst, desto näher kommst du deinem Vater. Woran merkst du das?
Manchmal stoße ich über Umwege auf ein Buch, von dem ich denke: Das muss ich lesen. Dann schaue ich mich in der Bibliothek bei uns zu Hause um und stelle fest: Mein Vater hat diese Bücher alle schon gelesen. Auch beim Thema Kunst und den Künstlern, mit denen er zusammen war, merke ich, wie weit er seiner Zeit voraus war und was für ein unglaubliches geistiges Erbe er mir hinterlassen hat. Ich wachse da rein, ohne dass ich mich groß an ihm orientiere. Aber dann merke ich: Oh krass, wir sind einen ähnlichen Weg gegangen.
Du wurdest nach Patrice Lumumba benannt. Welches Bild hast du von ihm?
Es heißt, das war die folgenreichste Ermordung des 20. Jahrhunderts. Wäre sie nicht geschehen, dann wäre Afrika heute ein anderer Kontinent. Er war einer der größten Denker der Welt. Durch seinen Ansatz wäre Afrika als Superpower gestärkt worden. Lumumba hatte das Potential, die Menschen zu vereinen und zu inspirieren – er war einfach zu gut. Deswegen hat man ihm ein Ende gesetzt. Die Verantwortlichen – CIA in Zusammenarbeit mit Belgien – reden über die Ermordung ja auch heute noch ganz offen und schamlos. Der Name Patrice, das sind große Schuhe. Irgendwann checkt man: Es ist mehr als nur ein Name. Es ist eine Inspiration.
Fühlst du dich eher als Weltbürger, oder als Weltafrikaner?
Weder noch. Weiß ich gar nicht. Ich habe keine Definition. Ich denke die Kultur, die ich bin oder die Identität, die ich darstelle, die gibt es so noch nicht und wir kreieren diese Kultur gerade. Sie hat noch keinen Namen.
»Ich denke, dass Musik
verbinden sollte«
Was meinst du, wenn du sagst: »Ich vermittle nicht nur zwischen (Musik-) Stilen, sondern auch zwischen Welten wie Europa und Afrika? Wie machst du das?
Für mich ist Musik und die Kultur, die ich mir baue, ein Ding. Es ist ein Ausdruck, von dem was ich bin. Ich habe immer versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden zwischen allem. Sei es Eliteschule in Salem und Vorstadt Köln. Oder Sierra Leone und Deutschland. Oder Afrika und Europa. Ich will ganz einfach nur ehrlich sein dürfen, ohne mich zu verstellen. Ich will nicht auf einem Rockfest Rock spielen, oder auf einem Reggaefest Reggae. Ich will eine Musik machen, mit der ich überall stehen kann. Nicht, weil ich nicht anecken will. Sondern, weil ich denke, dass das die Zukunft ist. Man merkt das ja immer mehr in der Musik. Ich denke, dass Musik verbinden sollte.
Was erzählst du deinen Kindern über Sierra Leone?
(Sein Sohn Nile spricht...) Er erzählt mir, dass es dort viele Bodenschätze gibt und eine Menge Leute kommen, um nach Diamanten und Gold zu graben. Und er erzählt mir, wie schön es dort ist.
Deine Schwester beschrieb bei einem TED-Talk Sierra Leone als reichstes Land der Welt. Wie meinte sie das?
Ich glaube, sie meinte das wortwörtlich.
Es gibt Prognosen, die davon ausgehen, dass in 2050 bis zu 2,2 Mrd. Menschen in Afrika leben. Glaubst du, es wird den Menschen dort in Zukunft besser oder schlechter gehen?
Das steht offen. Es gibt sehr hoffnungsvolle Länder dort, die wirtschaftlich auch performen. Aber Afrika muss in sich und seine Infrastruktur investieren und die Ressourcen müssen den Leuten vor Ort zugute kommen. Es ist aber so, dass viele Länder nach wie vor von Afrikas Schätzen leben. Meine Schwester hat in ihrem TED-Talk 2015 dargelegt, dass Frankreich auf dem Level eines Drittwelt-Landes wäre, wenn es nicht so viel Geld aus seinen ehemaligen Kolonien jährlich beziehen würde. Außerdem müsste Afrika die von Europa versprochenen Reparationszahlungen tatsächlich bekommen.
Du bist oft in den Vereinigten Staaten und bekommst wahrscheinlich die »Black Lives Matter Bewegung« mit? Was geht dir im Moment näher: Das Erstarken von Parteien wie AFD oder der neue Rassismus in den USA?
Ich glaube, in den USA ist es mehr neuer Nationalismus als Rassismus. Genauso in Deutschland. Dass es in Ostdeutschland schon immer krass war, hat man totgeschwiegen. Oder man ist nie richtig dagegen angegangen, weil rechtes Denken dort auch in der Polizei und Politik steckt. Das ist aber nichts Neues. Jetzt allerdings nutzen viele die Stimmung gegen die Flüchtlinge aus. Was diese Leute nicht verstehen, ist die Bereicherung, die andere Kulturen bringen. Vor allem in den USA. Die gäbe es in der Form gar nicht. Und in Deutschland sieht man ja, was passiert, wenn ein Typ wie Hitler an die Macht kommt. Dann gehen alle Künstler und Intellektuellen und tragen ihre Kreativität in andere Länder.
Du sagst, dass du dich auch fürs Filmemachen interessierst. Welchen Film würdest du am liebsten drehen?
Stehe im Moment auf Serien. Eine futuristische Serie, die in Westafrika spielt, fände ich geil.
Welche Songzeile von Chuck D gefällt dir immer noch?
Da gibt es einige! Aber zum Beispiel »Fear of a black planet« als Gesamtkonzept passt immer noch gut. Diese Idee geht davon aus, dass die Welt in ihrer Hautfarbe immer dunkler wird. Dass viele davor Angst haben sieht man ja heute. Ich habe da keine Angst davor.