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Not African Enough
by the NEST collective

The Nest collective
visual by The Nest collective

Die Modeszene Kenias ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Die neuen Modemacherinnen sind allesamt bemüht, Einflüsse aus ihre unmittelbaren Umgebung in ausgefallene, zeitlose Designs zu verwandeln. Allerdings wird ihnen oft vorgeworfen, dass ihre Mode nicht afrikanisch genug sei. Die Vorwürfe kommen meist von der globalen Modeindustrie, die einerseits sehnlichst nach „afrikanischer“ Inspiration für ihre Mode sucht, andererseits aber gerne den Prüfdienst für die „Authentizität“ afrikanischer Mode spielt.
Das Problem dabei ist, dass es keine einheitliche Definition gibt, was ‚afrikanisch‘ überhaupt ist.

Bisher hat man sich ganz vage auf das, was am ‚afrikanischsten‘ aussieht, verlassen. Aber die rein optische Bewertung trügt, wie die neue Welle von Mode aus Kenia zeigt. Das NEST-Kollektiv, eine Gruppe interdisziplinär arbeitender Menschen mit einer kreativen Kraft, die in Kenia ihresgleichen sucht, hat eine bemerkenswerte Lösung für diese Unklarheit gefunden: Sie wollen das metaphorische Archiv an Wörtern, Bildern, Ideen, und Geschichten, die das Superkonzept „Afrika“ konstituieren, auseinandernehmen. Das von ihnen herausgegebene Buch mit dem Namen Not African Enough (dt. „Nicht afrikanisch genug“) ist zugleich sehr aktuell und längst überfällig. Das Ensemble von gestochen scharfen Bildern, Texten im anthologischen Format und die typische ästhetische Gründlichkeit des Kollektivs ist eine Freude für die Sinne.

In den 386 Seiten des Buches berichten vierzehn kenianische ModemacherInnen von Erfahrungen, Inspirationen und kreativen Prozessen. Immer wieder taucht die Frage auf, warum ihre Mode monochrom oder gradlinig und nicht bunt oder gemustert daherkommt. Schließlich gelten bunt bedruckte Stoffe gemeinhin als ‚afrikanisch‘. Das „Imperativ der bunten Muster“ empfinden viele ModemacherInnen als eine Beschränkung ihrer Kreativität.

Katungulu Mwendwa , eine von den befragten ModemacherInnen, fasst es so zusammen:

"Anfangs verwirrte meine Ästhetik viele Menschen. Manche Menschen fragten, „ist das afrikanisch? Es gibt gar keine bunten Muster!“ Ich kam zu der Erkenntnis, dass manche Menschen eine sehr begrenzte Definition von Afrika haben, eine die nur selten über den klischeehaften ‚bunten Kontinent‘ hinausgeht. Meine Antwort war immer: „Warum möchten Sie meine Kreativität eingrenzen? Meinen Sie etwa, dass meine Mode immer bunt und gemustert sein muss, nur weil ich aus diesem riesigen und unglaublich diversen Kontinent komme?"

Die britische Kolonialherren in Kenia waren gründlich: Nur wenige traditionelle Praktiken der Textilverarbeitung haben die Kolonialzeit überlebt. Das ist in Ländern wie z.B. Ghana, die ebenfalls von den Briten kolonialisiert worden sind, anders. In den 1990er Jahren kam dann auch noch das sogenannte Fast Fashion, die sogenannte ‚Wegwerfmode‘, dazu. Die für angeblich wohltätige Zwecke in Europa gespendete Mode landete auf Märkten in Nairobi als Mitumba, das gängige Wort für Second-Hand-Kleidung in Kenia. Der Marktzugang für lokale DesignerInnen wurde dadurch zusätzlich erschwert. Kepha Maina fügt hinzu:

"Es gibt einen starken britischen Einfluss auf das, was wir tragen. Wir haben nach unser Unabhängigkeit leider vieles beibehalten. Wir haben keinen Versuch unternommen, uns selbst zu finden; wir haben nach 1963 einfach weitergemacht, als wäre nichts gewesen. In den 90ern war Second-Hand-Kleidung ganz groß, sogar die Regierung hat das gutgeheißen. Ich glaube, dass diese Phase sehr prägend war für die Auflösung des Eigenen. Mitumba war billig und überall verfügbar, das haben wir als Heranwachsende getragen. Da sehe ich den Anfang der automatischen Inwertsetzung von allem, was aus Europa und den USA kam."

Kenianische Modemacher sind der globalen Kleidungsindustrie oft weit voraus. Sie wollen Mode schaffen, die global Anklang findet. Dabei soll ihre Mode wegen der Qualität und Kunstfertigkeit auffallen, nicht wegen ihrer Herkunft. Modeschaffende in Paris oder New York verschwenden nämlich selten ihre Gedanken daran. Kenianische Modeschaffende verlangen die gleichen Spielräume für sich; ihre Kreativität soll ihr Talent und zugleich harte Arbeit widerspiegeln, nicht mehr und nicht weniger.

Anyango Mpinga, dessen Mode bereits in der Vogue Italia zu sehen war, meint:

"Es gibt eine Verschiebung der Dynamik unter den neuen Modeschaffenden auf dem afrikanischen Kontinent; wir kreieren Produkte mit einem globalen Charakter. Jemand in New York, Seoul oder Paris soll ein von mir gemachtes Kleid angucken und fragen: „Woher kommt es?“ Es sollte nicht offensichtlich sein, dass Mode aus Afrika kommt, nur weil sie bunt gemustert ist."

Die Debatte, die von Not African Enough thematisiert wird, lehnt eine Essentialisierung des „Afrikanisch-Seins“ ab. Das Buch versucht, herkömmliche sowie neuartige Einflüsse auf dem diversesten Kontinent der Welt zu zelebrieren. Die ModemacherInnen, die in dem Buch zu Wort kommen, verschieben gerne die Grenzen. Sie holen sich die Definitionsmacht zurück, sie wollen selbst entscheiden, was „Afrika“ für sie bedeutet. Zwischen den Buchdeckeln steckt die kollektive Einsicht, dass eine fortwährende Rekonstruktion von Identität und Kultur grundsätzlich notwendig ist für innovatives Modedesign. In Kenia und anderswo.

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Das Buch ist dieser Erkenntnis gewidmet; es präsentiert Mode und Design auf eine Art und Weise, die die vermeintliche „Andersartigkeit“ Afrikas ablehnt. Diese „Andersartigkeit“ ist im kollektiven Afrikabild des Westens behaftet und mittlerweile sogar im Selbstbild von AfrikanerInnen. Das Buch ermutigt alle etablierten und werdenden ModemacherInnen ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen und selbst zu erproben, was „afrikanisch“ ist oder sein kann. Das Buchprojekt Not African Enough stellt den destruktiven Einfluss des Super-Konzepts „Afrika“ in der Modeindustrie fundamental infrage. Das ist ihm gelungen!

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Not African Enough: Herausgegeben vom NEST-Kollektiv. 368 Seiten in englischer Sprache. Verfügbar in zwei Buchcover Versionen.

Interviewte Modemacherinnen: Adele Dejak, Wambui Kibue, Anyango Mpinga, Ami Doshi Shah, Ambica Shah, Katungulu Mwendwa, Munga, Kepha Maina, Ogake Mosomi, Namnyak Odupoy, Firyal Nur Al Hossain, Wambui Mukenyi and Design duo M+K (Muqaddam Latif and Keith Macharia)

Text: Eric Otieno | otienos.com

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